30/6/2024
Kultur im Wirtshaus
Editorial
„Männer gründen ständig irgendwelche Banden. Jetzt haben wir mal eine gegründet.“
Wie steht es um Gender, Diversität und Inklusion in der Gastronomie? Mara Feißt kennt die Branche bestens.
Text:
Magdalena Mayer

Die Gastgeberin und gelernte Sommelière Mara Feißt hat vor kurzem in Wien mit ihrem Team vom Lokal Kommod die ehemalige Pizzeria Azzurro übernommen und zum Café Azzurro transformiert. Vor gut einem Jahr hat sie auch das „Female Wine Collective“ mitbegründet: Das feministische Kollektiv macht seitdem sichtbar, dass sich gerade für weiblich gelesene Personen in der Weinbranche und darüber hinaus etwas ändern muss. Das macht sie zur idealen Gesprächspartnerin, um darüber zu reden, welche Arbeitsbedingungen und Verhaltensweisen es für ein Miteinander in der Gastronomie ohne Machtmissbrauch, Sexismus und Diskriminierung braucht - und wie ein Kollektiv wie ihres, aber auch ein Wirtshaus ein „Safe Space“ sein kann.

Wie steht es um Diversität in der Gastrobranche?

Diversität in Bezug auf Gender, People of Colour und Queerness gibt es. Sie ist aber nicht sichtbar. Und was oft vergessen wird: Menschen mit körperlichen Behinderungen sind in der Branche noch nicht gut integriert. Bei Frauen – genauer: weiblich gelesenen Personen beziehungsweise FLINTA – ist es so, dass es zwar viele und auch einige in Führungspositionen gibt, das aber nicht bekannt ist. Im Gastrojournalismus werden sie oft nicht erwähnt. Deshalb geht es darum, Aufmerksamkeit und Awareness zu schaffen und zu sagen: Vielleicht seht ihr nicht, wie divers die Gastronomie ist, weil bis jetzt ein verzerrtes Bild präsentiert wurde. Die Strukturen sind seit vielen Jahren patriarchal. Langsam ändert sich das. Somit ist das Erste, was man tun kann: die Augen aufmachen. Wie viele FLINTA sind bei einer Weinverkostung? Wer wird in einem Bericht genannt, wer leitet tatsächlich ein Restaurant?

Ist neben Sichtbarkeit auch Sexismus ein Thema, mit dem FLINTA unter all den Männern in der Gastronomie womöglich mehr zu kämpfen haben als woanders?

Natürlich ist das ein großes Thema. Ich vergleiche es gern mit der Filmbranche, weil es da und dort eine Arbeitsatmosphäre gibt, wo man täglich in engem Kontakt arbeitet und dabei extremem Stress ausgesetzt ist. Ich selbst habe auch übelste Beschimpfungen erlebt, mir wurde mal ein Blech nachgeworfen. Es ist einfach, Machtmissbrauch in sämtlichen Formen zu betreiben. Viele Übergriffe kommen nicht zur Sprache oder bleiben ohne Konsequenzen. Wenn ein Chefkoch eine junge Kellnerin beschimpft oder anfasst, hat sie kaum die Mittel oder Kraft, das öffentlich zu machen. So ist man den Launen eines höhergestellten Individuums ausgesetzt, härtet ab oder kämpft sich durch. Irgendwann hat man den Betrieb gefunden, wo das nicht mehr der Fall ist. Aber es sollte nicht sein, dass man sagen muss: Das gehört dazu, da muss man durchhalten. Viele vergessen, dass auch die Gastro ein normaler Arbeitsplatz mit Arbeitsrechten ist.

Oft sind diese Arbeitsplätze Orte, wo man sich vielleicht auch mal ein bisschen gehen lässt, ein Bier zu viel trinkt und etwas sagt, was man sonst nicht sagt.

Aber das ist keine Entschuldigung für so ein Verhalten. Es ist ein System, das Veränderung braucht. Und es hat sich schon etwas getan: Viele Betriebe sind gerade dabei, die Arbeitskultur in der Küche und auch im Service zu ändern, weil sonst bald niemand mehr mitmacht, siehe Fachkräftemangel.

Kann ein Wirtshaus auch zu einem Safe Space werden – und braucht es solche Orte?

Eigentlich sollte es keine Safe Spaces geben, es braucht sie aber noch: Wir müssen Orte schaffen, wo es möglich sein kann, über Dinge zu reden, die unangenehm sind. Ein Beispiel ist das Lokal Nobelhart & Schmutzig in Berlin, das einen Guide of Conduct als Positionierung gegen Machtmissbrauch, sexuelle Belästigung und Diskriminierung hat. Es beginnt schon in der Ausbildung, dass man Awareness für solche Themen schaffen muss. Schlussendlich sollte es eine innere Haltung sein. Mit Arbeitsrechten gibt es ein Regularium, aber es fehlt an einer Arbeitnehmer:innenlobby. Die Arbeiterkammer hilft, doch während der Pandemie habe ich gemerkt, dass wir keine Ansprechpersonen und Sprecher:innen haben. Die Gastronomie ist einer der größten Wirtschaftszweige, auch die Politik sollte sich einbringen. Die Verantwortung, sichere Orte zu schaffen, wo Menschen ohne Angst vor Konsequenzen hingehen können, wird hin und hergeschoben und letztendlich gibt es sie zu selten. In unserem Female Wine Collective poppen immer wieder Fragen zu Diskriminierung und Sexismus auf, die anderswo nicht besprochen werden können. Zum Beispiel ist es heutzutage auch in der Sterne-Gastronomie üblich, dass Wirt:innen auf binärer beziehungsweise sexistischer Kleiderordnung bestehen – unlängst habe ich von einem Gastronomen gehört, der eine Lippenstiftpflicht für seine Mitarbeiterinnen einführen will. Ob das rechtlich möglich ist, lernt man in der Ausbildung nicht.

Hat sich das Female Wine Collective somit gegründet, um einen Safe Space für die Aushandlung solcher Themen zu schaffen?

Ein Kollektiv wird gegründet, weil etwas im Argen ist. Ich hatte mich schon mit Frauennetzwerken zum Thema Arbeitsrechte ausgetauscht, dann sind Kolleginnen und ich draufgekommen, dass wir einander nicht kennen, obwohl so viele FLINTA tolle Sachen machen in der Branche. So haben wir gemerkt, dass etwas mit der Sichtbarkeit nicht stimmt, und gesagt: Reden wir gemeinsam darüber. Beim ersten Treffen haben wir beschlossen: Es reicht, wir müssen jetzt etwas machen. Nach ein paar Wochen hatten wir schon 62 Mitglieder – wir haben einen Nerv getroffen. Es ist zeitlich intensiv – wir arbeiten 50 bis 70 Stunden nebenbei – aber es ist jedes Mal berührend und ein gemeinsames Empowering, wenn wir einander treffen. Männer gründen ständig irgendwelche Banden. Jetzt haben wir mal eine gegründet.

Warum gerade beim Wein ansetzen?

Wir haben gemerkt, dass es eine Schräglage ist, wenn bei einer Verkostung 30 Leute eingeladen sind und davon nur zwei Sommelièren. Und im Restaurant selbstverständlich gefragt wird: Darf ich den Sommelier sprechen? Oder beim Umgang mit Wein: Wenn ich Gast bin, kommt es oft vor, dass ich den Wein bestelle und mein Mann ihn kosten darf. Es kommen immer wieder sexistische Stereotype, zum Beispiel dass Frauen Rosé trinken und Männer tanninreiche Rotweine. Oder wie man auf eine betrunkene Frau reagiert im Unterschied zu einem Mann. Das ist ein strukturelles Problem, aber wenn man auf solche Dinge einmal achtet, kann man auch als einzelne Person daran arbeiten. Die Veränderung hin zu Gleichberechtigung fängt im Kleinen an.

Was sieht eure gemeinsame Arbeit aus?

Es ist ein Interessensverband, und wir machen definitiv aktivistische Arbeit. Wir sind alle FLINTA, die mit Wein arbeiten – im Handel, im Weingut oder in der Gastronomie – und haben ein Kernteam für die operative Leitung, das einander alle zwei Wochen trifft. Einmal im Monat findet ein Roundtable statt, da sind alle eingeladen. Es gibt dann ein Thema, zu dem jede einen Wein zur Verkostung mitbringt. Wir reden über den Wein, die Branche, was zuletzt passiert ist, was wir planen und machen, vermitteln einander Jobs. Für Bildungsarbeit planen wir Veranstaltungen, wo auch externe Personen eingeladen sind. Zum Glück bekommen wir immer wieder mediale Aufmerksamkeit, wir haben Plattformen, wo wir publizieren dürfen – etwa eine Kolumne im Popchop Magazin – und stehen unter anderem in Verbindung mit Die Gemeinschaft e. V. in Berlin, das ist ein Netzwerk von Lebensmittelproduzent:innen und Gastronom:innen für branchenübergreifende Vernetzungs- und Bildungsformate. Wir arbeiten mit unserer Präsenz, indem wir Talks halten und anwesend sind. Ein bisschen wirkt es so, als wären wir die tadelnden Anstandswauwaus. Aber das ist okay, weil so Leute anfangen nachzudenken und zu schauen, ob FLINTA bei einem Event dabei sind.

Was sind Ziele, damit es kein Tadeln mehr geben muss?

Ein langfristiges Ziel ist, dass die Politik uns zuhört und hilft. Auch geht es darum, dass wir einen sicheren Ort für die Zukunft schaffen, damit junge Menschen wieder gern in der Gastro arbeiten. Wichtig ist ebenso, die Kollegen ins Boot zu holen, wir haben tolle männliche Unterstützer in unserem Dunstkreis. Sowie den Journalismus: Es braucht eine kritischere mediale Betrachtung der Arbeitskultur in der Gastronomie. Wir selbst können nur im Kleinen arbeiten: Um Veränderung anzustoßen, brauchen wir alle, auch den Gast.

Was kann ich als Gast beitragen?

Vielen ist es wichtig, dass alles am Teller hohe Qualität hat. Aber schlussendlich interessiert wenige Gäste, wer dahintersteht oder wie es um die Diversität in der Küche bestellt ist. Ich verstehe es, weil das Gasthaus ein Ort sein sollte, wo man entspannen kann. Aber wenn es so weitergeht, wird es das eben nicht mehr geben. Somit tragen wir alle eine Verantwortung, es wieder zu einem Ort zu machen, wo man an einem Stammtisch sitzt – das ist ja eigentlich das, was das Gasthaus ausmacht: Alle sollen auf Augenhöhe gleichberechtigt nebeneinandersitzen, der Arzt neben der Landwirtin und dem Postboten, und verschiedene Generationen zusammenkommen.

Denkt man an den Stammtisch im Wirtshaus, kommt auch ein Klischee von Gästen in den Sinn, die blöde Sprüche über Frauen von sich geben. Ist das ein überholtes Vorurteil?

Ich bin mir sicher, dass das noch oft der Fall ist und viele Kolleginnen oder queere Kollegen schon Konfrontationen hatten, homophobe Kommentare kamen und so weiter. Das zieht sich durch alle Bereiche, vom Wirtshaus bis zum angesagten Lokal. Prinzipiell sollte jeder Mensch, der sich im Lokal aufhält, Wertschätzung erfahren – vom Gast bis zur Reinigungskraft, alle sind gleich wichtig. Wenn das zum standardmäßigen, respektvollen Umgang gehören würde, bräuchte es keinen Safe Space mehr. Es klingt pathetisch, aber ich glaube, das ist der Schlüssel. Somit ist ein Ziel im Female Wine Collective, das positiv vorzuleben.

Welche konkreten Maßnahmen sind naheliegend?

Gerade für Arbeitgeber:innen ist auch externe Unterstützung wichtig, ich sage mal: ein Coaching. Wenn ich ein Wirt bin und schon 40 Jahre lang arbeite, bin ich vielleicht überfordert mit den Ansprüchen, die junge Menschen haben. Das Geld dafür sollte da sein. Es sollte generell ein Grundkonsens in der Gesellschaft sein, dass wir es nicht alleine schaffen müssen.

Gibt es weitere Kollektive in der Branche, die sich für Themen wie Diversität einsetzen – können sich da Synergien ergeben?

Es gibt in Berlin #proudtokellner und in Österreich die Frauendomäne, das Hospitality Worker Collective von Lisa Dunbar oder die Female Chefs, bei denen es um Frauen in der Gastronomie in Führungspositionen geht. Das Female Wine Collective ist noch jung und braucht Zeit, aber wir wollen künftig mehr zusammenarbeiten, weil auch von ihnen wichtige Themen angestoßen werden, ein Stichwort: Kinderbetreuung bei Nachtarbeit und diskriminierende Gesetze, Gender-Pay-Gap, Arbeitsschutz… Wir brauchen außerdem Partner:innen und Sponsorship. Unser erster Geburtstag steht an, da werden wir eine Feier machen. Dann schauen wir, wo die Reise hingeht. Wir sind großer Hoffnung, dass jetzt eine gute Zeit für Veränderung ist – mit Unterstützung von vielen, und wenn man laut und unangenehm ist. Wir müssen miteinander reden und arbeiten. Wir wollen keine Bubble sein und niemanden ausschließen, niemandem etwas wegnehmen oder die Karriere schmälern, sondern sagen: Es gibt viel mehr als Altbewährtes. Wenn sich Dinge ändern, muss es so etwas wie das Female Wine Collective irgendwann nicht mehr geben.