13/4/2024
Jugend & Pop-Up
Editorial
Auch Traditionen unterliegen einem Wandel
Interview mit Jochen Neustifter über Traditionen und Innovation in der regionalen Wirtshauskultur.
Text:
Lisa Edelbacher I friendship.is

Wer bei Jochen Neustifter isst, stößt recht bald auf den einen oder anderen Widerspruch. Hier gibt es Sushi aus Knödeln und Falafel. Es kommen Gäste in festlicher Tracht und andere in Hüfthosen. Man findet Bier aus der Umgebung und Weine aus Moldawien. Kann das, darf das ein Wirtshaus sein? Allerdings, sagt Jochen Neustifter, 48, der mit seinem Jo’s Restaurant und Catering im oberösterreichischen Vorchdorf die Grenzen zwischen traditioneller und experimenteller Kochart aufweicht. Ein Konzept, das ihm bereits eine Haube und einen Stern einbrachte und in Vorchdorf nicht weniger als den Status einer Institution. In der Krise des Wirtshauses sieht Jochen Neustifter auch eine Chance, sich dem Zeitgeist zu stellen und Innovationen voranzutreiben. Was es dazu braucht? Kreativität, ein wenig Mut und womöglich auch den einen oder anderen Widerspruch.

Vor zwanzig Jahren hast du das Jo’s Restaurant in Vorchdorf eröffnet, in einer Zeit, in der familiengeführte Betriebe vorherrschend waren. Du hingegen warst der erste Gastronom in deiner Familie. Rückblickend gesehen: War das eher ein Vor- oder Nachteil?

Es stimmt, damals war ein Wirtshaus noch Familienangelegenheit. Es war sicherlich von Vorteil, dass ich nicht den Anspruch hatte, ein Wirtshaus im herkömmlichen Sinn zu führen. Ich wollte meine Speisekarte nicht auf Schnitzel und Schweinsbraten reduzieren, das war mir von Anfang an klar. Somit trat ich in keine direkte Konkurrenz mit den alten, familiengeführten Wirtshäusern in der Umgebung. Aber wie jeder neue Betrieb muss man sich zunächst beweisen, und man muss auch später noch flexibel bleiben. Das kann aber auch ein Vorteil sein.

Inwiefern?

Die Pandemie hat gezeigt, dass sich die Gastronomie, mehr noch als andere Branchen, an den Zeitgeist anpassen muss. Traditionsbetrieben, die jahrzehntelang die gleichen Arbeitsabläufe einstudiert haben, fiel es meiner Meinung nach schwerer, auf Veränderungen zu reagieren.

Wer das Wirtshaus also neu denken will, muss auch die eine oder andere Wirtshaustradition überdenken?

Ich finde, die Debatte wird mit viel Wehmut geführt, dabei wäre das klassische Wirtshaus heutzutage nicht mehr zeitgemäß. Als sozialer Treffpunkt war es ausschließlich Männern vorbehalten, Frauen sah man höchstens im Service, und man kann sich vorstellen, dass sie nicht gerade den angenehmsten Arbeitsplatz hatten. Mit Traditionen ist es im Übrigen so eine Sache, sie sind kein starres Konstrukt, sondern unterliegen natürlich auch einem Wandel.

Woher kommt dann die Nostalgie?

Ich glaube, sie kommt aus einer Sehnsucht nach einer vergangenen, einer sorgloseren Zeit. Das Wirtshaus ist ein Ort, an dem diese Erinnerungen fortbestehen können.

Schließt nun ein Wirtshaus, nimmt man den Menschen also auch ihre Erinnerung?

Ja, und womöglich ist das schmerzhaft, aber ganz ehrlich: Wer würde heute noch in einer derart verrauchten, lauten Umgebung essen wollen? Mal ganz abgesehen davon, dass es in den meisten Wirtshäusern überhaupt kein Essen gab.

Verändert haben sich auch unsere Ernährungsgewohnheiten. Mehr denn je achten die Menschen auf Qualität und Herkunft ihrer Lebensmittel.

Absolut. Wir ernähren uns ganz einfach nichtmehr so wie vor fünfzig Jahren, und die Gasthäuser müssen in Zukunft auch darauf reagieren. Es geht meiner Meinung nach auch nicht mehr, dass man Käsespätzle als veganes Gericht auf der Speisekarte bezeichnet.

Mit Jo's Restaurant hast du einen anderen Weg eingeschlagen. Auf der Speisekarte finden sich neben klassischen Gerichten auch Sushi und Falafel, deine Kochart gilt als kreativ und modern. Wie kommt das bei den Gästen an?

In Vorchdorf gibt es zum Glück noch andere Wirtshäuser, die eine klassische Speisekarte führen. Das gibt mir die Freiheit, auch ausgefallenere Gerichte anzubieten. Ich kann auch gut verstehen, wenn man mit Tajine und Falafel nichts anfangen kann, aber ehrlicherweise habe ich es sehr selten erlebt, dass Gäste irritiert gewesen wären. Die meisten freuen sich über eine kreative und überraschende Speisekarte. Ein Restaurantbesuch wird so auch zu einem Erlebnis.

Der Anspruch, dass die Speisekarte überraschen soll, scheint auf den ersten Blick nicht zum Konzept Wirtshaus zu passen.

Den Typus Stammgast, zu dessen Alltag das Wirtshaus gehört, gibt es immer seltener. Heute geht es weniger um Gemütlichkeit als um Genuss und das Erlebnis.

Wie wichtig ist es, dass man Trends mitmacht?

Die Wahrheit ist: Beim Kochen wurde schon fast alles erfunden – man kann aus einer Tomate weißen Schaum und aus Pilzen Fleisch herstellen. Heute werden die Küchentrends immer ausgefallener, immer absurder. Ich beobachte Trends aus der Distanz, laufe aber nicht gleich mit. Dennoch glaube ich, dass es den Wirtshäusern guttut, über den Tellerrand zu blicken.

Du bist Teil des Projekts Wirtshauslabor, indem du mit Schüler*innen einer Tourismusschule ein Konzept für ein Wirtshaus erarbeitest und umsetzt. Interessieren sich die Jugendlichen für gastronomische Trends?

Küchentrends wie die Molekulare Küche oder das Kochen mit Insekten waren für die Schüler*innen weniger interessant. Ich habe den Eindruck, dass das Interesse der Klasse bei zwei – auf den ersten Blick gegensätzlichen – Themen liegt: einerseits bei den traditionellen Wirtshausgerichten und andererseits bei der Ethnoküche, also Speisen, die nicht aus unseren heimischen Kulturkreisen kommen. Und natürlich ist Nachhaltigkeit ein großes Thema.

Nachhaltigkeit ist auch Teil deiner Küchenphilosophie, ein besonderes Anliegen ist dir das Thema „No Waste“. Was kann man sich darunter vorstellen?

Wir haben uns zu einer Wegwerfgesellschaft entwickelt, in der wir mehr Ressourcen verbrauchen, als unser Planet hergeben kann. Ein Umstand, der Klima und Umwelt sehr belastet. No Waste ist im Grunde ein Konzept, das darauf abzielt, Verschwendung zu vermeiden.

Jedes dritte Lebensmittel wird nicht verzehrt, sondern entsorgt. No Waste gehört nach dem Zukunftsinstitut zu den prägenden Zukunftstrends in der Gastronomie.

Das wäre sehr wichtig, denn in der Gastronomie wird unfassbar viel weggeschmissen. In den großen Betrieben, in denen ich gearbeitet habe, musste ich schmerzhaft erfahren, wie viele noch genießbare Lebensmittel im Müll landeten. Dabei ist die Vermeidung von Abfall nicht bloß umweltschonender, sie ist vor allem auch ökonomischer.

Wieso landet dennoch so viel in der Tonne?

Ich denke, es liegt daran, dass entsprechende Konzepte fehlen. Man muss ein Bewusstsein dafür schaffen, dass man viele Abfälle noch verwerten kann. Gemüseabschnitte etwa verwende ich für einen Suppenfond, und aus einem Huhn kann ich vier verschiedene Gerichte kochen.Überschüssiges Gemüse kann man fermentieren, einkochen oder einlegen. Es gibt unzählige Möglichkeiten, Abfall zu vermeiden, man braucht dazu nur ein entsprechendes Wissen und Kreativität.

Jochen Neustifter, 48, eröffnete nach Stationen im Restaurant Tanglberg in Vorchdorf, im Restaurant Waldschänke in Grieskirchen und beiDo&Co in Wien das Jo’s Restaurant und Catering in Vorchdorf. Nur kurze Zeit später wurde die kreative Kochart des Oberösterreichers mitGault&Millau-Hauben und À-la-Carte-Sternen ausgezeichnet.

Im Rahmen der Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut 2024 bringt Jochen Neustifter seine Expertise in einem Schulprojekt mit der HLW Don Bosco Vöcklabruck zum Thema Wirtshauskultur ein. Gemeinsam mit zwei 3. Klassen betreibt er in Gmunden das „Salzkammer-GUAD“ im Haus Rosenkranz (ehemaliges Gasthaus zum Rosenkranz, seit 1979 geschlossen). Die Pop-up-Gastronomie ist zu ausgewählten Terminen noch bis November 2024 geöffnet.

Ein großes Danke geht an Christiane Hofinger, die Besitzerin des Hauses Rosenkranzstrasse 16, die es für das Projekt „Salzkammer-GUAD“ zur Verfügung stellt. Ihr ist es zu verdanken, dass dieses geschichtsträchtige Haus so schön renoviert wurde und auch die Gaststube – bis auf die Entfernung der Schank – noch so ist, als ob die Zeit stehen geblieben wäre. Weitere Informationen siehe: https://www.gmundens-schaetze.at/rosenkranzstrasse-haus-nr-16.html

Salzkammer-GUAD ist ein Projekt in Kooperation mit: HLW Don Bosco Vöcklabruck

Fotos Galerie © Wolfgang Spitzbart