Wenn man Christoph Held zur Zukunft des Wirtshauses befragt, spricht er zunächst einmal über die Vergangenheit. Über eine Zeit, in der es selbstverständlich war, dass man Fleisch vom Bauernhof bezog, in der sich die Speisekarte nach der Jahreszeit richtete und nicht nach Trends, in der einfach gekocht wurde, aber ehrlich. Einer Zeit, in der das Wirtshaus noch ein Ort der Begegnung war, des Streits wohlgemerkt, aber auch des Aufeinanderzugehens. Dort, sagt Christoph Held, müssen wir wieder hin.
Dabei ist Christoph Held, den alle „Krauli“ nennen, keiner, der in der Vergangenheit verharrt, immerhin kennt man den Gastwirten des Siriuskogl in Bad Ischl vor allem aus YouTube. Seit drei Jahren kocht er mit„Held und Herd“ vor der Kamera, inzwischen auch in Fernsehsendungen. Im Gespräch verrät er, wie man Mitarbeiter*innen hält, weshalb er dennoch lieber analog unterwegs ist, und was man von der Wirtshauskultur lernen kann.
Ob vor der Kamera oder am Siriuskogl, dein Leben spielt sich größtenteils in der Küche ab.Wann hast du gemerkt, dass Kochen deineLeidenschaft ist?
In meiner Familie war Kochen immer mehr alsEssen, es war ein Lebensgefühl. Am meisten hat mich meine Großmutter, eine Hüttenwirtin in Traunkirchen, geprägt. Schon als Kind hat es mich fasziniert, wie einfach, aber schmackhaft ihre Gerichte waren. Hinzu kommt, dass ich amFuße des Siriuskogl aufgewachsen bin. Schon als Kind habe ich meinen Eltern gesagt, dass ich das Ausflugsgasthaus Siriuskogl übernehmen will. Und so kam es dann auch.
Vor 15 Jahren, als du gerade 21 geworden bist,hast du den Siriuskogl tatsächlichübernommen.
Als ich mich bei der Gemeinde darum beworben habe, malte ich mir keine große Chance darauf aus. Wir haben damals ganz klein angefangen, ich stand in der Küche, und ein Praktikant kümmerte sich um das Service. Er ist übrigens geblieben und heute der Restaurantleiter.
Für viele Betriebe ist genau das schwierig:Personal zu finden und vor allem zu behalten.
Wir sind um die zwanzig Mitarbeiter*innen am Siriuskogl, und das schon seit Jahren. Inzwischen ist das Team sehr eng zusammengewachsen, die Atmosphäre ist sehr familiär. Aber das heißt nicht, dass uns der Fachkräftemangel nicht auch beschäftigt, auch wir haben uns schwergetan, neue Leute zu finden. Als Chef bedarf es außerdem an Fingerspitzengefühl, wenn es darum geht, neue Mitarbeiter*innen einzustellen, immerhin muss das Gefüge stimmen. In all den Jahren habe ich aber die Erfahrung gemacht, dass es auf zweierlei ankommt: gerechte finanzielle Entlohnung und emotionale Bindung.
Was kann man sich unter emotionalerBindung vorstellen?
Ein Beispiel: Unser Restaurantleiter, der ehemalige Praktikant, ist ein großer Heavy-Metal-Fan. Findet ein Konzert seiner Lieblingsband in der Nähe statt, kaufe ich ihm eine Karte und stelle ihn für ein paar Tage frei. Ein Wirtshaus führt nie nur der Wirt oder die Wirtin, vielmehr trägt es die Handschrift aller Mitarbeiter*innen, es ist ein Gemeinschaftsprojekt. Damit die Gastronomie als Arbeitsplatz wieder attraktiv wird, müssen wir Wirt*innen auf unseren Umgang mit allen Mitarbeiter*innen achten. Die Prioritäten in der Arbeitswelt verschieben sich gerade. Die Menschen wollen mehr Freizeit, und persönliche Wertschätzung ist ihnen oft wichtiger als Erfolg im herkömmlichen Sinn.
Überhaupt befindet sich die Arbeitswelt im Wandel. Ein großes Thema ist die Digitalisierung, muss man sie in Zukunft auch im Wirtshaus mitdenken?
Ich denke, es ist eine Gratwanderung. Du musst am Puls der Zeit sein und Technologie dort einsetzen, wo sie nützlich ist und Sinn macht. Aber um ehrlich zu sein, habe ich mich mit digitalen Medien immer schwergetan.
Und das, obwohl du YouTuber bist?
Verrückt, oder? Aber was Technik betrifft, habe ich mich immer rausgehalten. Ich bin sehr viel besser vor als hinter der Kamera aufgehoben. Ich fühle mich trotz allem in der analogen Welt wohler.
Das Wirtshaus ist wohl der Inbegriff der analogen Welt. Verschwinden die Wirtshäuser, verschwinden auch soziale Begegnungszonen, das Politisieren an den Stammtischen, das Kartenspielen, die Bauernhochzeiten und Vereinsfeste. Aber brauchen wir diesen Kulturraum überhaupt noch?
Mehr denn je! Wir als Gesellschaft brauchen einen Raum, in dem wir zusammenkommen. Und zwar nicht nur mit unseresgleichen, sondern auch mit jenen, die uns auf den ersten Blick nicht so entsprechen, die uns ungemütlich erscheinen. Nur so werden Gräben zugeschüttet, nur so findet man zueinander.
Der berühmte Satiriker Gerhard Polt bezeichnete das Wirtshaus einmal als „Heimstätte der Diversität“. Er sagte: „Das Wirtshaus bietet der ganzen Gesellschaft, Kind und Kegel, Deppen,Gaunern, Intellektuellen, Beamten, Rückkehrern aus der Kriegsgefangenschaft wie Rückkehrern von den Seychellen eine Heimat.“
Ich finde das sehr treffend, weil es stimmt: Im Wirtshaus begegnet sich in der Regel der Querschnitt der Gesellschaft. Teils sehr unterschiedliche Weltanschauungen prallen da aufeinander, und klar kommt es da zu Reibungen. Aber ich bin der Meinung, dass die richtige Streitkultur der Gesellschaft keinen Schaden zufügt, im Gegenteil.
Lassen sich im Wirtshaus andere Meinungen besser aushalten?
Es ist natürlich schwer, pauschale Aussagen zu treffen, aber ich finde, es hat sich etwas in unserem Umgang verändert. Es wurde leichter, Unangenehmes auszublenden, sich selbst davon abzugrenzen. Aber auf so einem kleinen Raum wie im Wirtshaus und vor allem, wenn mit dem einen oder anderen Bier die Hemmungen fallen, sieht man sich mit Andersdenkenden schnell konfrontiert. Und oft merkt man auch, dass die Gräben weniger tief sind als vermutet. Im Wirtshaus geht es um Ehrlichkeit, das betrifft nicht nur den Umgang, sondern auch die Speisekarte.
Inwiefern?
Ich finde, je einfacher die Gerichte und je kleiner eine Speisekarte, desto ehrlicher ist sie. Damit kann man das Kochen auf das Nötigste reduzieren, und das ist die Sorgfalt, mit der Lebensmittel ausgesucht und verarbeitet werden. Immerhin ist Essen etwas unfassbar Intimes, als Koch habe ich Verantwortung. Es geht auch darum, bei Händler*innen aus der Region einzukaufen und saisonal zu kochen. Nur so macht es Spaß, Koch zu sein, wenn du mitentwickeln kannst und mit dem arbeitest, was gerade da ist. Im Herbst ist das eben Kürbis und im Frühling Spargel.
Die Kulinarik einer Region kann man auch als Kulturgut verstehen. Wonach, würdest du sagen, schmeckt das Salzkammergut?
Das Salzkammergut ist eine Gegend, in der viel und hart gearbeitet wurde, deshalb ist die Küche recht deftig. Ein gutes Beispiel dafür sind die Holzknechtnocken, das sind sehr einfach zubereitete Nocken aus Wasser und Mehl, die süß oder salzig gegessen werden können. Traditionell haben sie die Holzknechte, Bergleute oder Arbeiter in den Salzbergwerken gekocht. Aber auch bei den Adeligen kamen sie gut an. Und das nicht obwohl, sondern weil sie so einfach waren. Abgesehen von den traditionellen Gerichten gibt es so viel Essbares in der Umgebung – man muss dazu nur in den Wald gehen: Fichtenflechte, Maiwipferl, Triebe von Tannen- oder Fichtenzweigen.
Christoph Held, 38, ist gelernter Koch und übernahm mit nur 21 Jahren das Ausflugsgasthaus Siriuskogl in Bad Ischl. Seit 2020 ist er zudem mit dem Format „Held und Herd“ als Fernsehkoch in verschiedenen TV- und Onlineformaten zu sehen. Im Rahmender Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut 2024 bringt Christoph Held seine Expertise in einem Schulprojekt zum Thema Wirtshauskultur ein. Gemeinsam mit derKlasse 4HLa der Tourismusschule Bad Ischl betreibt er in Bad Ischl das „Genusslabor“ in der ehemaligen Bahnhofsrestauration. Die Pop-up-Gastronomie ist zu ausgewähltenTerminen noch bis September 2024 geöffnet.
Genusslabor ist ein Projekt in Kooperation mit der Tourismusschule Bad Ischl.
Fotos Galerie © Monika Löff, Edwin Husic (Genusslabor Bad Ischl)