26/7/2024
Healthy Boy Band
Editorial
HEALTHY BOY BAND: Mehr Bildung für neue Kochkunst
Das Kollektiv Healthy Boy Band führt verlässlich vor, wie man Kulinarik weiterdenken kann. Und will die Freude und Offenheit dabei an Einsteiger:innen in die Branche weitergeben.
Text:
Magdalena Mayer

Wie kann man junge Menschen hungrig auf Gastronomie und deren Sinn machen? Braucht es dabei neue Perspektiven in der Ausbildung und Praxis – und warum ist Wirtshauskultur mehr als Kochen, auch oder gerade am Land?

Das Kollektiv Healthy Boy Band führt mit interdisziplinären Interventionen verlässlich vor, wie man Kulinarik weiterdenken kann. Und will die Freude und Offenheit dabei an Einsteiger:innen in die Branche weitergeben.


„Wir betreiben viel Mehraufwand, um zu zeigen, dass Küche und Wirtshaus nicht nur Kochen ist“, teilt Felix Schellhorn seine Gedanken über den Zugang der Healthy Boy Band bei deren Kochaktionen, die gern mal übliche Grenzen in der Gastro ausdehnen. Neben ihm haben Philip Rachinger und Lukas Mraz teil an dem Kollektiv: Gemeinsam loten sie aus, was eine Kochkunst ist, bei der die Kulinarik immer auch interdisziplinär Kultur – wie man diese auch immer definieren mag – und weitere Sparten berührt. Dabei wollen sie nicht nur Qualität in jeglicher Form anbieten, sondern auch einfach eine gute Zeit haben. Ihre Freund:innen und Skills aus unterschiedlichsten Disziplinen werden dabei – neben dem Kochen – ganz selbstverständlich eingebunden.

Diese ausgeweitete Auslegung von Gastronomie verleitete etwa die Wochenzeitung „Falter“ dazu, augenzwinkernd über die Healthy Boy Band zu schreiben: „Vor Köchen wie diesen hat die Hotelfachschule immer gewarnt.“ Dabei ist das Ziel hinter den kulinarischen Interventionen der Healthy Boy Band nicht nur ein Aufzeigen, dass Kochen auch anders sein kann als das, was der traditionellen Vorstellung eines österreichischen Wirtshauses entspricht. Auch gehört dazu: Die Branche für junge Leute attraktiv zu machen.

Zeitgemäß lernen?
Das „Healthship“ als Versuch

Gerade überlegt das Trio also auch verstärkt, wie man junge Menschen zu einem Weg in die Gastro motiviert und Perspektiven jenseits veralteter Ausbildungsstrukturen schafft. Schellhorn ist sicher: Wie man das Ausbildungssystem zeitgemäß denkt, es ansprechender und besser macht und einem Fachkräftemangel begegnet, ist eine kollektive Diskussion wert. Wie nicht nur eine Lehre durchpeitschen? Wie die Qualität und Begeisterung auch für Quereinsteiger:innen heben?

Gemeinsam mit friendship.is hat die Healthy Boy Band kürzlich aus Fragen wie diesen heraus ein „Healthship“ gestartet: Ein vierzehnmonatiges Praktikum, bei dem die Lust an sogenannten gastro-kulturellen Tätigkeitsfeldern wachsen soll – mit einer „gesunden Ausbildung“,  wie die Anspielung im Namen verrät. „Wir sind selber gerade am Nachdenken, was wirklich Ausbildungen wären, die in der Zukunft Fuß fassen könnten“, weist Schellhorn darauf hin, dass das Healthship-Praktikum ein Pilotprojekt mit Alleinstellungsmerkmal ist, bei dem erstmals ausgetestet wird, wohin die Reise gehen kann: Ein Laborversuch mit einer Person, bei der neue Schritte in Ausbildung und Praxis zusammenkommen. Wer weiß, bestenfalls werden im Anschluss Erkenntnisse über die Potentiale so eines Zugangs als Open Source für weitere Versuche zur Verfügung stehen – ob in Restaurants oder auch in Designbüros, Offenheit für eigenwillige Auslegungen des Modells ist Teil davon. Gewünscht wäre es jedenfalls, beschreibt Schellhorn.

„Momentan funktioniert es sehr gut, unsere Praktikantin Kim ist jetzt in der zweiten Station“, gibt er Einblicke ins Healthship. Kim absolviert zuerst drei Stationen in den jeweiligen Betrieben der Healthy-Boy-Band-Mitglieder, ehe sie sich einen Betrieb ihrer Wahl für die letzten zwei Monate sucht. Nach dem Start im Mühltalhof in Neufelden bei Philip Rachinger taucht sie nun vier Monate bei Mraz und Sohn in Wien ein, dann kommt sie zu den Schellhorns in den Seehof Goldegg. Diese Praxiserfahrung sei das Interessante daran: So eine intensive Praktikumszeit ist unüblich, weiß Schellhorn, normal müsse man sich so etwas selbst organisieren. Weil sich die drei „darüber geärgert haben, dass die Lehrlinge bei einer Abschlussprüfung in der Berufsschule Sachen machen, die vor 40 Jahren auf Menüs gestanden sind“, startete die Healthy Boy Band nun ihren Aufruf zur Bewerbung bei ihnen, erklärt Schellhorn.

Mit Spaß auf neue Wege fern der Routine

„Es ist aber nicht so, dass man als Healthship-Praktikantin den goldenen Löffel bekommt und nur anrichtet, sondern da wird schon hart gearbeitet. In dem Jahr sieht man, wie krass es in der Küche zugehen kann.“ Arbeitsweisen bei jungen Leuten haben sich verändert, aber das System Gastronomie ist weitgehend gleichgeblieben. An Veränderungsprozessen in Betrieben hapert es derzeit eher, hat Schellhorn den Eindruck. Er hat selbst – wie Rachinger und Mraz – einen renommierten Familienbetrieb im Hintergrund, mit Ende des Jahres übernimmt er den Seehof in Goldegg. Man muss ja nicht immer das Rad neu erfinden, wenn etwas gut funktioniert, meint er. Wenn man Persönlichkeit, Einsatz und Qualitätsbewusstsein mitbringt, kann es auch in Zukunft noch gut funktionieren, einen Gastrobetrieb zeitgemäß zu führen. Auch am Land. „Aber wenn die Wertschätzung gegenüber dem Wirtshaus als Ort – nicht als Restaurant – nicht da ist, wird es in Zukunft keine Wirtshäuser mehr geben“, fürchtet er auch. Und vermutet: Nicht am Preis und Angebot liegt es, warum (junge) Leute nicht mehr ins Wirtshaus kommen und miteinander reden, sondern an einer sozialen Entwicklung.

Doch was ist ein Wirtshaus als Ort für mehr als Kochen, was eine lebendige, lokale Wirtshauskultur?

„Die Frage ist immer: Was ist Kultur?“, wirft Schellhorn ein, „und hat sie am Land die gleiche Bedeutung wie in der Stadt?“ Er selbst hat gerade sein Studium an der Universität für Angewandte Kunst in Wien abgeschlossen, kennt beides. In der Stadt ist ein größeres passives Kulturangebot vorhanden – am Land, da muss man selbst mehr in die Hand nehmen, meint er. Etwas aktiv machen für eine Kultur, zu der da und dort auf jeden Fall gehört: Wie man sich unterhält, was rund und die eigenen alltäglichen Routinen noch passiert.


Die Healthy Boy Band zeigt bei ihren gastro-kulturellen Events, dass die Routinen auch mal gesprengt werden dürfen, wenn man Gastronomie weiterdenken will. Nie etwas zweimal machen und immer herausgefordert werden gehört zum Credo: „Es ist ein großer Lernfaktor für Gäste und schon ein kulturelles Statement von uns, dass man nicht immer alles unter Kontrolle haben muss oder darf, sondern dass ein spannender, spontaner Moment passieren soll, kann oder darf.“ Nie fehlen jedenfalls Leidenschaft und Authentizität. Wenn Schellhorn, Mraz und Rachinger im Kollektiv auftreten, soll es für sie selbst lustig und bereichernd sein. „Eigentlich ist es eine Art kultureller Ausbruch aus der täglichen Routine, die zwar Spaß macht, aber auch viel Arbeit ist. Und so ist es etwas, bei dem wir lernen können, wie wir selber vielleicht auch in den Betrieben Dinge anders angehen und denken können“, sagt Schellhorn. Für die Kulturhauptstadt 2024 planen sie „Interventionen im gewohnten Healthy-Boy-Band-Format: Spaß, Freude, Freunde und gutes Essen“. Und da es in jeder Ausbildung von den Lehrenden abhänge, den Lernenden die Freude an der Sache weiterzugeben, wird auch ihre Healthship-Praktikantin Kim in die Interventionen eingebunden.

Fotos Galerie © Jana Sabo und Ian Ehm | friendship.is, Hannes Kläger