Die Wirtshäuser werden immer weniger. Und damit die Stammtische. Gleichzeitig steigt der Bedarf zu reden. Vor allem von Angesicht zu Angesicht. Denn gegen Einsamkeit und Zerfall hilft das Internet nur bedingt. Die Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut 2024 lädt deshalb zur nächsten Runde des Projekts Wirtshaus Labor. Im Fokus: der Stammtisch.
‍

Mindset: Stammtisch‍

Im Wirtshaus hat der Stammtisch seit jeher eine wichtige Funktion. Er bringt die Leute zusammen, er sorgt für regelmäßigen Austausch – und er erfüllt damit eine wichtige soziale Funktion. Nirgendwo sonst erträgt man die Nähe mit völlig Fremden besser als in einer Wirtsstube. Der Stammtisch ist die inoffizielle Gemeinderatssitzung und das Tratschblatt, das beste Hauptabendprogramm und die Gruppentherapie. Und für mich etwas ganz Besonderes.

Ich bin Kira Saskia Schinko, und ich bin ein Wirtshauskind.
Ich habe mir meinen Platz am Stammtisch schon mit drei Jahren ersessen. Und zwar jeden Platz am Stammtisch. Kaum das Wirtshaus betreten – so erzählt meine Mutter – saß ich nach Minuten schon auf anderen Tischen, auf jedem Schoß, und hab bei jedem Schnitzel mitgegessen. Ich hab während der Schulzeit dann jahrelang im Service gearbeitet. Ordentlich ausgeschenkt und ordentlich eingeschenkt – Getränke und verbal. Im Wirtshaus lernt man viel. Und vor allem lernt man die Menschen kennen. Wie der, für meine Begriffe, beste Wirtshauskultur-Botschafter Gerhard Polt sagt: „Der Mensch, der keine Stammtisch-Erfahrung hat, hat vom Leben fast nichts gelernt. Der ist leider Gottes, der wohnt in anderen Dimensionen.“ Sich im Wirtshaus zurechtzufinden, ist also eine besondere menschliche Fähigkeit mit dementsprechend einzigartiger Geisteshaltung – wer hat heutzutage noch ein Stammtisch-Mindset? Es gilt: kein Stammtisch ohne Wirtshaus, kein Wirtshaus ohne Stammtisch. Beides ist Urbestandteil österreichischer Kultur. Und genau deswegen gehört der Stammtisch reetabliert.
‍

Stammtisch Reanimation live!‍

Was also zu tun ist, um die wertvolle „Architektur zur Förderung der Demokratie“ – den Stammtisch – aufleben zu lassen? Marketing. Ja, Marketing. Ich komme ja aus der Werbung, wenn bei uns etwas nicht mehr so läuft, dann suchen wir einfach einen neuen Namen, eine neue Identität, eine neue Positionierung (naja) und Strategiewechsel. Was in Krisenzeiten schon immer funktioniert hat, waren Formate mit Unterhaltung und Ablenkung, Optimismus, Familiensinn und Gemeinschaft. Und so hat Österreich nun seine erste* „Wirtshaus Show“. A dream come true. Für mich at least. (* Ich besitze zumindest alle WWW-Adressen – das reicht mir für die Behauptung.)

Mein Stammtisch wird auch zur Bühne. Ich werde also Gäste aus Film, Funk, Fernsehen und dem alltäglichen Leben einladen, es wird mal musiziert, mal gibt es Kabarett – und vielleicht auch Theater: Halligalli der bodenständigsten und besten Art. Bei verschiedenen Wirtsleuten, an verschiedenen Stammtischen und Orten, aber immer mit dem gleichen Ziel: ganz viel reden und ganz viel lachen. Vor allem mit denen, die ohnehin öfter im Wirtshaus sind. Aber eben auch mit denen, die es nicht sind: mit jüngeren, mit weniger integrierten, mit Nichtalteingesessenen. Und auf jeden Fall persönlich. Alles was dort passiert, passiert live und analog, ohne Fernseh- oder Internetübertragung.
Man muss also da sein, um dabei zu sein. Wie beim echten Stammtisch.

‍

Warum mache ich das genau dort? Sollte meine Show nicht lieber in irgendeiner Hipster-Bar stattfinden? Auf gar keinen Fall. Mein Konzept ist: Beim Reden kommen die Leute zusammen – vor allem in schwierigen Zeiten. Und damit Leute zusammenkommen können, dürfen sie nicht von Anfang an in der gleichen Suppe rumbubblen (Neudeutsch für: sich nur mit Sich-selbst-ähnlichen treffen). Ich freue mich auf das Bier und die Bierdeckel, aufs Maggi-Gedeck und die Schnapskarten. Und ich freue mich vor allem auf euch!

‍

Premiere am 8/6/2024

‍

Kurz nach der Premiere entstand auch der Podcast als Folge 7 unserer Reihe, in dem Kira Saskia Schinko über die gelungene Premiere aber auch die Rolle des Stammtisches in unserer Gesellschaft nachdenkt: jetzt reinhören!
‍

‍

‍

Fotos Galerie © Lisa Edi