"Der Gast spürt sofort, ob man ihm Kultur verkaufen will, oder ob man sie wirklich lebt."
Könnten sie sprechen, die historischen Mauern des Steegwirts, wovon würden sie wohl erzählen? Von Salzhändlern und Hofleuten, die schon in der frühen Neuzeit hier verkehrten? Von den Abenden, an denen musiziert wurde bis in die Morgenstunden? Den unzähligen Festen? Stammgästen?
450 Jahre, ein halbes Jahrtausend also, reicht die Geschichte des Steegwirts zurück. Und während Kriege und Revolutionen die Welt umkrempelten, während ein Wirt nach dem anderen aus dem Dorfbild verschwand, steht das prachtvolle Wirtshaus zwischen Hallstätter See und Traun fast unverändert da. Bis auf die Küche, denn die ist heute besser denn je.
Zu verdanken ist das allen voran den beiden Küchenchefs und Brüdern Fritz und Tamino Grampelhuber, die dem Steegwirt gleich zwei Gault-Millau-Hauben einbrachten. Ein Gespräch mit Fritz Grampelhuber über Stammgäste, Tradition und die Frage, wieso das Wirtshaus ein Ort der Beständigkeit ist.
Es ist kurz nach Mittag, als Fritz Grampelhuber in die Hotellobby kommt, seine Hände kurz an der Hose abstreift und sich zum ersten Mal an diesem Tag setzt. Seit sechs Stunden steht der Chef des Steegwirts in der Küche des Kempinski am Wiener Schottenring. Grampelhuber ist mit der Nationalmannschaft angereist, als ÖFB-Koch, oder wie manch ein Spieler scherzhaft sagt: als das wichtigste Teammitglied.
Es ist ziemlich genau 11 Jahre her, dass Grampelhuber zum ersten Mal mit Spielern nach Kolumbien reiste, damals noch mit der U20. Heute ist er aus dem Team tatsächlich nicht mehr wegzudenken und das liege, wie er sagt, schon auch an seinen Fertigkeiten als Koch, vor allem aber liege es an seiner direkten Art. Und tatsächlich: Grampelhuber ist einer jener Menschen, mit denen man recht schnell per Du ist, einer, der eine klare Meinung hat – die er auch zeigt.
Der Begriff Wirtshaus ist ein umkämpfter. Was für die einen schon Wirtshaus ist, ist für die anderen noch Speiselokal. Welche Kriterien muss ein Betrieb für dich erfüllen, damit er sich Wirtshaus nennen darf?
Typische Hausmannskost darf nicht fehlen, und die Speisen müssen frisch und ehrlich zubereitet sein. Das gilt natürlich auch für den Erdäpfelsalat, der bei einem Wirtshaus nie, wirklich niemals aus dem Kübel kommen darf. Und dann ist da noch die kulturelle Komponente: Ob eine Stimmung aufkommt, ob geplaudert und musiziert wird. Es ist ein Unterschied, ob man einen Musiker bucht oder ob der Thomas Gansch nach dem Essen seine Trompete herausholt. Bei uns ergibt sich diese Stimmung, sie ist nicht inszeniert.
Was ist mit den Stammgästen?
Den klassischen Stammgast von früher, den gibt es längst nicht mehr.
Wer ist dann der Durchschnittsgast, der in den Steegwirt kommt?
Schwer zu sagen, weil wir so ziemlich alles haben von Kindern bis Pensionisten, vom Arbeiter bis zum Fußballstar und natürlich viele Touristen. Aber, und auch das beobachte ich, immer mehr Einheimische.
Eine erfreuliche Entwicklung, oder?
Durchaus, es ist positiv, dass es immer mehr Leute aus der Umgebung zu uns verschlägt. Nur weiß ich auch, dass es nicht nur an unserer Kulinarik liegt, sondern auch daran, dass andere Treffpunkte fehlen. So hart das klingt: Einige sind gezwungen zu kommen, denn es gibt so gut wie keine Alternativen.
Abgesehen von der Bereitschaft hart zu arbeiten, was ist es, das euch im Gegensatz zu vielen anderen Wirtshäusern besser gelingt?
Eines steht fest: Ohne unseren Familienverbund gäbe es den Steegwirt so nicht mehr. Ohne die Arbeit, die meine Eltern und wir Geschwister tagtäglich leisten, wäre es unmöglich unsere Gäste auf diesem Niveau zu versorgen. Einerseits ist da die Bereitschaft alles zu geben für den Betrieb, und andererseits kann man sich im Kernteam aufeinander verlassen, darauf vertrauen, dass die anderen nur das Wohl des Betriebs und der Familie im Sinne haben. Und ja, es kommt manchmal zu Streitigkeiten, wenn man sich mit Problemen auseinandersetzt, aber hinterher können wir uns immer wieder in die Augen schauen. Ich finde: Darauf kommt es an. Ebenso wichtig ist es, eine gute Selbsteinschätzung zu haben, genau zu wissen, wer man ist, und in unserem Fall ist das: ein traditionelles Wirtshaus aus Bad Goisern. Ich denke, wir sind uns selbst treu geblieben, wir haben uns nicht für andere verbogen, sind auf keine Trends aufgesprungen. Wir haben an unseren Prinzipien festgehalten – und es hat sich ausgezahlt.
Was sind solche Prinzipien?
Etwa, ein ganzes Tier zu verarbeiten. Was heute „Nose-to-Tail“ genannt wird, ist in Wahrheit das, was wir im Steegwirt schon immer getan haben, nämlich das Tier komplett zu verwerten. Selbstverständlich verkochen wir nicht nur das Karree, sondern auch den Knochen, die Leber, das Herz. Das gilt natürlich auch für Gemüse, das wir fermentieren, um es haltbar zu machen. Es sind Arbeitsweisen, ja fast Rituale, an denen wir schon immer festhalten.
Es heißt, dass in herausfordernden Zeiten das Bedürfnis einer Gesellschaft nach Routine und dem Altbekannten größer ist.
Ich sehe jedenfalls, dass es die Leute schätzen, wenn sich ein Betrieb nicht ständig verbiegt und neu erfindet. Die Wirtshaustradition ist über Jahrhunderte hinweg gewachsen und hat sich bewährt. Vielmehr als eine ausgefallene Karte braucht es Beständigkeit, vor allem in der Qualität.
Es liegt in der DNA des Wirtshauses, dass man an Traditionen anknüpft, Altbewährtes fortführt, Kultur bewahrt. Wo aber muss man dennoch auf den Zeitgeist eingehen, um nicht in der Vergangenheit zu verharren?
Es ist natürlich auch wichtig auf die Bedürfnisse einer Gesellschaft zu achten, auf Umbrüche, die auch unser Essverhalten prägen. Deshalb gibt es bei uns selbstverständlich vegetarische und vegane Gerichte. Aber im Großen und Ganzen ist die Speisekarte klassisch.
Vor etwa zehn Jahren hast du die Küche des Steegwirts übernommen und damit eine Familientradition fortgeführt. War dir immer schon klar, wohin du willst?
Schon als Kind hat es mich fasziniert, wie sich meine Eltern um Gäste gekümmert haben. Über die Jahre bin ich dann in den Betrieb hineingewachsen, ich habe also früh verstanden was es heißt Wirt zu sein. Mein Vater hat uns aber immer die Wahl gelassen, er sagte zu mir und meinem Bruder: „Übernehmt den Betrieb nur, wenn ihr es wirklich wollt“. Ich wollte das, und ich habe noch keine Sekunde an der Entscheidung gezweifelt. Umso schöner war es dann für mich, als mein Bruder Tamino einen ähnlichen Weg einschlug.
Du warst Schüler der Tourismusschule in Bad Ischl, hast dann bei Starkoch Norbert Niederkofler gelernt, wurdest von den Brüdern Obauer in Werfen sozusagen unter deren Fittiche genommen. 2013 habt ihr selbst eine Haube bekommen. Eine Bilderbuchkarriere eigentlich.
Ja, ich hatte Glück von diesen Ausnahmeköchen lernen zu dürfen, das hat mein Können ungemein erweitert. Dort erst habe ich verstanden, dass Kochen ein Handwerk ist, und dass die Praxis so viel wichtiger ist als die Theorie. Im Nachhinein gesehen hätte ich mir die Schule sparen können. Ich sehe das so: Kochen lernst du in der Küche und nicht im Klassenzimmer. Das versuchen wir auch unseren Lehrlingen mitzugeben.
Es ist kein Geheimnis, das es für Betriebe immer schwieriger wird, Personal zu finden. In euren Stellenausschreibungen sucht ihr auch Leute, die bereits in Pension sind. Aus der Not heraus?
Nicht unbedingt. Ich finde es wichtig, auch der älteren Generation die Möglichkeit für Beschäftigung zu geben und sie nicht aus dem Arbeitsmarkt auszuschließen. Immerhin haben wir ihnen – rein wirtschaftlich gesehen – viel zu verdanken. Das sind Menschen mit reichlich Erfahrung, die ihr Leben lang hart gearbeitet haben. Es wäre schön, würde sich ihre Arbeitsmoral auch bei der jüngeren Generation wieder mehr durchsetzen. Bei uns musst du deinen Mann oder deine Frau stehen bei der Arbeit. Wir sind streng, aber wir fangen bei uns selbst an – immerhin sind wir die ersten, die in der Küche stehen. Und ja, in der Gastronomie zu arbeiten bedeutet eben auch auf einiges zu verzichten.
Meist wird der demographische Wandel, allen voran die Landflucht, für das Wirtshaussterben verantwortlich gemacht. Aber sind womöglich auch die als unattraktiv empfundenen Arbeitsbedingungen ein Grund dafür?
Aus meiner Sicht ist es der Hauptgrund, denn es gibt längst nicht mehr zu wenige Gäste, es gibt zu wenige Menschen, die bereit sind bis spätnachts zu arbeiten. Es war beinharte Arbeit dort hinzukommen, wo wir heute stehen.
Beim Steegwirt sitzt man an der Traun und unter Kastanien, im Garten schnattern die Gänse, drinnen wird groß aufgekocht. Wenn man so will, ist der Steegwirt eines der letzten Bilderbuchwirtshäuser. Welche Rolle spielt der Standort für einen Wirten?
Natürlich ist die Lage des Steegwirts einmalig, nicht umsonst wurde die Region zum Welterbe erkoren. Aber die Umgebung ist auch nicht alles, es muss auch drinnen, in der Küche, im Herz des Wirts stimmen. Der Gast spürt sofort, ob man ihm Kultur verkaufen will, oder ob man sie wirklich lebt. Ein Wirtshaus ist am Ende noch immer ein Ort, an dem es unverfälscht zugeht. Das ist unsere Philosophie, das leben wir.
Fritz Grampelhuber, 40, war Schüler der Tourismusschule Bad Ischl, lernte unter anderem bei den renommierten Köchen Karl und Rudi Obauer in Werfen, bevor er den Küchenchef des elterlichen Betriebs Steegwirt in Bad Goisern stellte. Gemeinsam mit seinem Bruder Tamino erkochte er nur kurze Zeit später zwei Gault-Millau-Hauben für den Traditionsbetrieb. Neben dem Steegwirt ist Fritz Grampelhuber auch als ÖFB-Koch für das Wohlergehen der Fußballnationalmannschaft verantwortlich.
Fotos Galerie © Thommy Mardo